Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Erbsensuppe im Schnee (1. Schüssel)                                                                                         06.01.2017 Es gibt einige Momente in meinem Leben, die sind selten geworden. Sehr selten. Aber es gibt sie und dann muss ich lächeln. Ich meine jene wenigen Sekunden, in denen ich manchmal daran denke, dass wir als Familie vor noch nicht einmal dreißig Monaten im Süden Brandenburgs, in Elsterwerda, gelebt haben. Wir hatten nicht die geringste Vorstellung davon, was es bedeuten könnte, demnächst in einer anderen Stadt zu leben, wenn auch aus einer völlig freien Entscheidung heraus. Heute weiß ich es und dann muss ich eben lächeln. Ich muss lächeln, weil die Sonne scheint und gerade der Wunsch gereift ist, auf unser Mittagessen zu verzichten und stattdessen oben, am Bahnhof und Parkplatz Drei Annen Hohne, eine Erbsensuppe oder Bratwurst zu essen und anschließend durch den Schnee zu laufen. Ich muss lächeln, weil von diesem Gedanken bis zum Abstellen der „Schüttel“ im Schnee gerade einmal eine reichliche Stunde vergangen ist. Vom Brandenburgischen Elsterwerda aus wäre das ein glattes Unding! Da darf man schon einmal lächeln und das Privileg genießen, hier leben zu dürfen, wo andere den Urlaub verbringen. Das ist einer jener Momente, der mich zum Lächeln verleitet, während unsere „Schüttel zwischen Heimburg und Elbingerode durch den Harz Richtung Drei Annen Hohne rollt. Es ist Feiertag: Heilige Drei Könige. Da kann man nicht erwarten, allein unterwegs zu sein. Doch was uns am Parkplatz Drei Annen Hohne erwartet, verleitet mich dann doch zum Staunen. Blechlawine aus allen Richtungen mit vielen Vorzeigemarken. Ich schiebe schließlich die „Schüttel“ rückwärts, am Rand des Parkplatzes, einem Mercedes vor die Nase, während andere Nobelkarossen verzweifelt eine Runde nach der anderen drehen, um einen risikofreien Stellplatz zu finden. Die „Schüttel“ hat das nicht nötig, die fährt auch in den Tiefschnee oder in aufgeschüttete Haufen hinein. Der erste Gang führt zur Gulaschkanone, Essenausgabe. Der Bratwurststand findet heute nicht statt, also wird gelöffelt. Die Suppe ist heiß, dick, gut gewürzt und dampft in einer großen Schüssel. Mir ist für einen Moment wie im Feldlager von Streganz bei Storkow. Das war im kalten Winter 1969 und ist jetzt fast fünfzig Jahre her, aber Erbsensuppe aus einem Kessel schmeckt immer noch. Die kleine Lily bekommt eine der beiden Würste und wird in der offenen Holzhütte zum Hingucker. Zitternd vor Kälte und Aufregung sitzt sie im Rucksack zwischen uns und lässt sich, entgegen allen Anstandsregeln, von uns füttern (mit einem Löffel kann sie noch nicht). Das letzte Kind hat eben doch Fell, so der Spruch einer unserer Bekannten. Danach überqueren wir mit dem „Kind mit Fell“ auf dem Rücken die Straße und folgen der Menschentraube in den Wald hinein.                                                                         Fotos bitte durch Anklicken vergrößern Als wir den sicheren Schneeboden des Nationalparkes erreichen, verlassen wir den breiten Weg und den Touristenstrom. Wir folgen einem schmalen Pfad und Lily darf frei herumlaufen. Es dauert nur ein paar Schritte über einen Gebirgsbach hinweg und schon wird es still ringsum. Hinter hohen Bäumen bleiben die Stimmen zurück und verstummen schließlich ganz. Wir sind hier fast allein unterwegs und nur manchmal kommt uns jemand entgegen. Dies ist wieder ein Moment zum Lächeln. Wir genießen den Luxus, nicht in einer komprimierten Zeitspanne möglichst viel sehen zu müssen. Diesmal locken uns der Winterwald, die verschneiten Lichtungen und die kleinen Rinnsale, die zugefroren und lautlos den Weg queren. An einer Kreuzung wenden wir uns nach links. Über einen zerpflügten eisigen Pfad steigen wir nach oben, wollen wir den Hohnehof erreichen. Lily steckt inzwischen wieder eingewickelt im Rucksack, weil sich zwischen ihren Pfoten immer wieder die Eisklumpen bilden und sie am Laufen hindern. Gut verpackt und gewärmt hockt sie auf meinem Rücken und lässt Herrchen, schnaufend und schwitzend, über die Schnee- und Eiskanten langsam nach oben stampfen, den spärlich leuchtenden Sonnenstrahlen zwischen hoch aufragenden Baumstämmen entgegen. Ganz allein und unbeobachtet kann ich hier auch dem Echo der Erbsengeräusche nachlauschen. Der Hohnehof, ein Erlebniszentrum im Nationalpark, befindet sich auf einer großen Waldlichtung. Von hier kann man weit ins Tal sehen oder den Harz erkunden. Wir waren schon mehrmals hier und jedes Mal konnten wir in der Umgebung interessante Entdeckungen machen und hatten schöne Erlebnisse. Jedes Mal bin ich fasziniert von der wilden Schönheit in knapp 600 Metern Höhe. Fast noch einmal so viele Höhenmeter muss man bewältigen, will man von hier den Brocken erreichen. Außerdem hat der Wanderer dann noch 11 Kilometer vor sich. Wer glaubt, daraus einen normalen Spaziergang machen zu können, sollte lieber gleich zu Hause bleiben. Ich weiß, wovon ich rede und die Lily kann sich auch noch gut erinnern. Doch heute wollten wir einfach nur in den Schnee, wir wollten ihn unter den Füßen knirschen Hören, frische Winterluft atmen und so wieder ein Stück neue Heimat erkunden. Wir haben dieses Ziel erreicht und lassen uns nun ganz entspannt wieder abwärts gleiten.                                                                            Fotos bitte durch Anklicken vergrößern Auf der großen Wiese wird gerodelt. Immer wieder gleiten Schlitten über den Hügel und auch auf dem Weg brausen die schnellen Gleiter an uns vorüber, dem Parkplatz oder der Schmalspurbahn entgegen. Manchmal hört man auch jemanden schimpfen und andere lachen. Dann kann man sicher sein, dass einer der Schneesüchtigen wohl das falsche Schuhwerk angezogen hatte. Auch Lily ist vom Hohnehof bis hierher gut mitgelaufen, muss aber wieder in den Rucksack, um nicht unter die Kufen zu kommen. Heute ist wohl nicht ihr Tag. Es ist ziemlich kalt und der Schnee gefriert schnell zwischen ihren Zehen. Unten an der Straßenkreuzung mit dem unbeschrankten Bahnübergang verweilen wir noch, um auf die Ausfahrt des Zuges nach Wernigerode zu warten. Die Lokomotive steht voll unter Dampf und nur wenige Minuten später setzt sich das kleine schwarze Stahlungetüm in Bewegung. Wir beobachten staunend, wie es einfach die Weiche auffährt und dann schnaufend an uns Zuschauern vorüber rollt. Immer wieder ein schönes Schauspiel, zumal im Winter. Eine Stunde später sitzen wir schon zu Hause am Kaffeetisch und noch einmal muss ich still in mich hinein lächeln, während sich die verschiedenen Autokennzeichen in alle Richtungen der Windrose wieder entfernen, die verschneiten Hänge des Harz mit dem Brocken im Rückspiegel und vielleicht einer Erbsensuppe im Magen.      
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.